cover front

Jahrelang war es angekündigt, jetzt ist es da: das Vermächtnis von Throbbing Gristle, oder präziser gesagt, von Peter "Sleazy" Christopherson. Begonnen von Christopherson im Jahr 2008, und nun fertiggestellt von Chris Carter und Cosey Fanni Tutti, erschien nun das Cover des gesamten "Desertshore"-Album von Nico unter dem Namen X-TG. Genesis P-Orridge hatte ja im November 2010 TG auf höchst dramatische Weise (wieder einmal) verlassen, die verblieben drei Mitglieder machten darauf spontan unter dem Namen X-TG weiter.

Im Original erschien "Desertshore" 1970 als drittes Soloalbum der Velvet Underground-Sängerin Nico. Produziert von Joe Boyd und John Cale, war "Desertshore" wie sein Vorgänger "The Marble Index" ein experimentelles Avantgarde-Album mit neoklassischen Elementen. Teile davon wurden auch für den Film "La cicatrice interieure" verwendet, in dem Nico auch mitspielte. Eine bedrückende und düstere Stimmung liegt über der Platte, die von Nicos Gesang zusätzlich verstärkt wird.

Vor 4 Jahren begannen nun Throbbing Gristle an einer Coverversion der gesamten Platte zu arbeiten. Die Aufnahmesessions dauerten 12 Stunden und waren für die Öffentlichkeit zugänglich. Die Band war aber mit dem Material nicht zufrieden, und so wurden nicht wie ursprünglich geplant, Teile davon adaptiert und als Album herausgebracht, sondern die Aufnahmen komplett verworfen. Throbbing Gristle wären aber nicht Throbbing Gristle wenn sie nicht auch daraus Kapital geschlagen hätten, denn die als nicht gut genug erachtete Session wurde trotzdem als Boxset unter dem Namen "The Desertshore Installation" in limitierter Auflage herausgebracht.

Fünf Jahre später liegt nun doch das fertige Album vor, gepaart mit einem letzten Studioalbum namens "The Final Report". Erschienen in CD-, Vinyl-, Download- und natürlich auch Deluxe-Version, gehalten in schlichtem Weiss, wahrscheinlich als Anspielung auf das erste Album der Band, "The Second Annual Report". Genesis P-Orridge wurde nach seinem Ausstieg komplett aus dem neuen Album entfernt. Stattdessen wurden Gastsänger engagiert, um die Vocal-Parts auf dem Album zu übernehmen. Es seien Leute gefragt worden, die Sleazy besonders nahe gestanden sind, wurde von Carter und Tutti verlautbart. Wenn man sich die Liste der Sänger aber so ansieht, kommen ernste Zweifel an dieser Aussage auf. Den Gesangsreigen eröffnet Antony. Ohne Antony geht bekannterweise ja gar nichts. Braucht man einen stimmlichen Gast, so nimmt man Antony. Man muss da nicht unbedingt TG sein, um eine Zusage zu bekommen, denn Antony singt für alle und jeden, so zB auch für Herbert Grönemeyer. Zwei Stücke werden von Blixa Bargeld von den Einstürzenden Neubauten interpretiert. Dass er Sleazy besonders nahe gestanden sein soll, mag ich beim besten Willen nicht glauben. Seine Version von "Mütterlein" driftet dann auch eher ins Theatrale und ein wenig Komische ab. Neu ist mir auch die enge Bindung Christophersons an das Porno-Starlet Sasha Grey. Als Fan und daher bald auch Freundin von David Tibet in den illustren Zirkel eingeführt, verfügt sie beileibe nicht über eine aussergewöhnliche Stimme, was besonders bedauerlich ist wenn man bedenkt, über welch markantes Organ Nico in ihren Originalversionen verfügte. Marc Almond, ein großer Sänger unserer Zeit, darf natürlich auch nicht fehlen. Gaspar Noe ist ein argentinisch-französischer Regisseur, der mit seinen drei experimentellen Filmen Skandale bei Kritikern und Publikum auslöste. Für seinen dritten Film, den unfassbar langweiligen "Enter the Void" verwendete er Musik von Coil, im speziellen Passagen von der CD "ANS". Er beschließt den Reigen an Gastvokalisten, bei dem man sich des Eindruckes schwer erwehren kann, man habe einen bunten Reigen an kontroversiellen und hippen Zeitgenossen genommen, die auch zusätzlich noch relativ leicht aufzutreiben waren. Erinnerungen an Current 93s "Black Ships Ate The Sky" werden auch wach. Viele Gäste bringen bekanntlich viele neue Hörer.

Musikalisch ist die Adaptation von "Desertshore" zurückhaltend. Der Biss von Throbbing Gristle, die Ecken und Kanten, das Vor-den-Kopf-stoßen fehlt komplett. Eher plätschert das Album als leicht-verträgliches Popmachwerk dahin, was an sich keine schlechte Sache ist, dem Original allerdings in keiner Weise gerecht wird. Wer hätte gedacht, dass just Throbbing Gristle, die ehemaligen "Wreckers of Civilization" einmal einem Album jegliche experimentelle Note nehmen würden. Dasselbe gilt auch für das beigelegte Studioalbum "The Final Report". Das dritte und nun wohl auch letzte (X-)TG Album seit der Reunion erinnert eher an Christopherson's späte Soloprojekte "Threshold House Boys Choir" oder "Soisong" (mit dem russischen Elektroniker COH) als an Throbbing Gristle. Wabernde Elektronik, sich verändernde Klangteppiche und verfremdete Stimmen erzeugen ein angenehmes Hörerlebnis, das munter vor sich hinplätschert, aber mit TG hat das absolut nichts zu tun. Schon bei den letzten Live-Auftritten der Band wurde deutlich, wie wichtig der sicher enorm anstrengende und oft auch ärgerliche Genesis P-Orridge für die Band war. Auf der Bühne war er aber der einzige, der dem langweiligen Ablauf der Konzerte optisch eine exzentrische Note verpassen konnte. Vielleicht hätte genau diese auch dem vorliegenden Album das gewisse Etwas verabreicht, das so komplett fehlt und "Desertshore/Final Report" zu einem unwürdigen Abschluss des Gesamtkunstwerkes von Throbbing Gristle macht.

Trackliste

  1. Janitor Of Lunacy
  2. Abschied
  3. Afraid
  4. The Falconer
  5. All That Is My Own
  6. Mütterlein
  7. Le Petit Chevalier
  8. My Only Child
  9. Desertshores
  10. Stasis
  11. E.H.S.
  12. Breach
  13. Um Dum Dom
  14. Trope
  15. What He Said
  16. In Accord
  17. Gordian Knot
  18. Emerge To Space Jazz
  19. The End
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