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Was nach Starbesetzung und Supergroup aussieht, ist in Wirklichkeit viel mehr: Ein Forschungsprojekt, das über Jahre hinweg dem Wesen des romantischen Lieds auf den Grund gegangen ist. Das Post Romantic Empire bestand von 2003 bis 2012, als visionäres Unterfangen des italienischen Modefotografen Giulio Di Mauro, der sich anschickte, per Konzeptlabel und Festivalplanung vergangene Ausprägungen romantischer Kulturregungen ins Hier und Jetzt zu bringen. Nun liegen die Erkenntnisse und erarbeiteten Entwürfe des Post Romantic Empires in Form eines liebhaberischen Plattenpakets endlich vor.

Es ist ja nicht unbedingt so, dass ein Staraufgebot automatisch gute Resultate tätigt, viele sind da schon grandios und überambitioniert gescheitert, doch ist es im vorliegenden Fall wahrscheinlich der im positiven Sinn ernsthafte Charakter des Gesamtunterfangens, der zu überzeugen vermag. Die vier Hauptarrangeure - Roger O’Donnell (The Cure), Baby Dee, Matt Howden und Maja Elliott (Current 93-Mitstreiterin) - haben illustre Gäste geladen und sich offensichtlich viel Raum und Zeit genommen. Man spürt, dass hier kein Flickenteppich verstreuter Ideen geknüpft, sondern dieser von einem den Überblick habenden Regisseur in übergreifenden Mustern fein verwoben wurde. Ein Konzeptwerk, das diesen Namen verdient.

Auf der A-Seite der ersten LP eröffnet Roger O’Donnell mit einer dreiteiligen Bearbeitung des Topos der Scheherazade. Bei seinen Klavier-Variationen hat er sich von der Cellistin Julia Kent unterstützen und von Guy Davie produzieren lassen. Mit recht minimalistischen Mitteln entwirft er eine Gefühlskulisse, die von erhabener Wehmut getragen wird. In unaufdringlichen Gesten lässt er sentimentale Akkord-Folgen los, die trotz ihrer Schwermütigkeit gewichtslos klingen und in leichten Abwandlungen miteinander korrespondieren. Vielleicht nicht der ganz große Wurf, was bei den gegeben und eingesetzten Mitteln wohl auch nicht das Ziel gewesen sein mag, jedenfalls aber ein Stück Klanglandschaft, das, im Unterschied zu so manch anderem Projekt, als gelungene kontemporäre Neoklassik bezeichnet werden kann.

Auf der B-Seite reinterpretiert Baby Dee „The House Of The Rising Sun“, unter anderen mit seiner bewährten Torch Song-Kompagnonin Little Annie, Matt Sweeney  und Andrew WK, der auch produziert hat. Stilistisch liegt das Ganze nicht unweit von „State Of Grace“, der letzten Zusammenarbeit von Baby Dee und Little Annie, spinnt sich aber weiter, hat eine etwas rauere Komponente, die für mehr Spannung und Reibungsfläche sorgt. Auf ihre einzigartige Art und Weise beginnt Little Annie das Lied als leises Lamento, bis Baby Dee mit einem für sie typischen Ragtime-Gepolter einfällt, das als diverse Metamorphosen durchlaufender Chain Gang-Blues den ins Temporäre überführten Geist südstaatlicher Musikstile durchdekliniert. In einer wohldosierten Intensität, wie sie seit Nick Caves „The Firstborn Is Dead“ selten gehört wurde.

Die zweite LP gehört ganz und gar dem für dieses Unterfangen prädestiniert scheinenden Matt Howden. Und Joy Divisons „Love Will Tear Us Apart“ - einmal eher rockig und einmal als Ambient-Stück rekonstruiert; beide Male von Andrew Liles produziert. Auf der A-Seite entwirft Howden - unter anderem unterstützt von Peter Hook, Annabella Lwin (Bow Wow Wow), Massimo Pupillo und David Tibet – ein fast schon post-rockiges, durchwachsenes, mehrstufiges Songgebäude, das der zeitlosen Sentimentalität und überwältigend schönen Traurigkeit dieses Klassikers erstaunlich gerecht wird. Einer der Höhepunkte dabei ist sicherlich Peter Hooks Neuanordnung seines Joy Division-/ New Order-Bassgitarrenstils, der hier ein Gefühl der Kontinuität – sowohl innerhalb des Songs, als auch zum Original – schafft. Speziell im letzten Drittel, vor dem Beginn des ätherischen Ausklangs,  finden alle Musiker zu einem kongenialen und vorwärtstreibenden Miteinander, das sich präzise und zielgerichtet rund um Peter Hook als Bindeglied zum Original aufbaut. Einer der – gemessen an den hohen Erwartungen – vielleicht kritischsten Punkte ist David Tibets Gesangseinlage. Würde man sich nur jenen kurzen Part anhören, in dem er zum Einsatz kommt, sie käme einem womöglich unangebracht und deplatziert vor, im Fluss des ganzen Liedkonstrukts aber ergibt seine reduktionistisch wehklagende Intonation durchaus Sinn. Matt Howden agiert hier eben ganz im Sinne des Post Romantic Empires, wenn er die Quintessenz dieses griffigen Pop-Songs in Kapitel unterteilt, die erst miteinander gelesen eine Geschichte zu erzählen haben.

Obwohl nicht wirklich miteinander vergleichbar, besitzt die Ambient-Version der B-Seite auf ihre stille Art und Weise fast noch mehr Kraft und Stringenz, wenn sich Peter Hooks Bassläufe zum Oud-Spiel von Eliot Bates hinzugesellen, und Larry Cassidy (Sänger der Factory-Band Section 25) den Text des Lieds – auch kraft seines Akzents - als ein Gedicht intoniert, das nach genau jenen rot-grauen britischen Vorstadtmauern klingt, in denen Ian Curtis seine fatalen Liebes- und Loyalitätskonflikte auszutragen hatte. „Elegy Version“ nennt sie Howden, ein mehr als zutreffender Beiname.

Maja Elliot, die sich von Matteo Spinazzè produzieren lässt, besiegelt mit ihrem Beitrag auf der ersten Seite der Single die (nicht?) überraschende partielle Factory-Dominanz bei diesem Projekt. Mithilfe von Gitane Demone und dem Current 93-Kollegen John Contreras verwandelt sie New Orders „Dreams Never End“ in ein bezauberndes Pop-Juwel, bringt es mit ihren schlicht arrangierten Piano-Kaskaden zum Glitzern und Funkeln, während Demone ihre ganze Seele in den Gesang legt und Contreras sein Cello, gerade bevor es zu kitschig wird, in die Verzerrung treibt. Dass Demones Stimmeinsatz einem am Ende des Liedes trotzdem die Tränen in die Augen treibt, kann und soll freilich nicht verhindert werden.

Auf der Single-Rückseite setzt Elliot mit gleicher schimmernder Piano-Sprache CCCPs melodramatische Post-Punk-Hymne „Annarella“ um. Den Gesangspart übernimmt ein italienischer Kinderchor, was den Kitschfaktor noch einmal erhöht, was aber dank des behutsamen und durchdachten Tempos positiv zu werten ist.

Bei vorliegendem finalen Statement des Post Romatic Empires erweist sich jeder Ansatz als eigener Kosmos, als Projekt innerhalb des Projekts, als ein von großen Ideen getragenes Musikstatement, das sich anschickt, Zeit, Raum und Blickwinkel zu verweben. Sicher, man kann einzelne Aspekte diskutieren, nicht jeder wird mit jedem Umsetzungsvorschlag einverstanden sein. Wahrscheinlich wird es auch Stimmen geben, die eine gewisse Künstlichkeit, Aufgesetztheit respektive Schöngeistigkeit bemängeln werden, was aber nichts daran ändert, dass das Projekt insgesamt eine wohlverdiente überragende Gesamtwertung einfahren wird. Als zeitloses Werk im Pop-Kanon Eingang finden wird.

Wenn es nur um die Musik geht, so hat das Label ein Gros schon auf You Tube und Soundcloud gestellt, und sicherlich werden bald die ersten marodierenden Zip-Dateien auftauchen. Wer aber auch das physikalische Produkt haben möchte, sollte sich mit einer Bestellung beeilen, denn bis auf die 1001 auf den Markt gebrachten Exemplare sollen, so zumindest der jetzige Plan, keine mehr nachgepresst werden.

Trackliste

  1. LP1 A – THE STORY OF SHEHERAZADE OR/OU LE TRIOMPHE DE L'AMOUR SUR LA HAINE ~ In Three Movements (17:40)
  2. LP1 B – THE HOUSE OF THE RISING SUN (20:26)
  3. LP 2 A – LOVE WILL TEAR US APART (17:16)
  4. LP 2 B – LOVE WILL TEAR US APART ~ Elegy Version (14:20)
  5. 7” A – DREAMS NEVER END (3:23)
  6. 7” B – ANNARELLA (5:05)
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