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Weshalb die Horrors hierzulande (vor allem in Gothic-Kreisen) immer noch nicht ganz angekommen sind, lässt sich eventuell mit den Distributionskanälen erklären, über die die junge Band aus Southend bisher an die Hörer vermittelt wurde. Hauptumschlagplätze der Horrors-Rezeption sind seit 2006 der "New Musical Express" und artverwandte Hypeformate in Print, Fernsehen und Radio. Die Partyplaylists hingegen sind weitgehend "Horror-frei"... Wenige Tage nach dem fulminanten Wien-Auftritt der Band also ein (so gesehen zu später) Versuch, die allgemeine Aufmerksamkeit ein wenig zu fokussieren:

Während The Horrors mit ihrem Debütalbum "Strange House" 2007 noch ganz klar in der Garage der Birthday Party verbotene Alkoholika (und andere Rauschmittel) in den Kindergeburstag schmuggeln wollten und sich damit die herzige Fanschubladisierung "Psychotic Sounds For Freaks And Weirdos" und viele bis heute treu kreischende Teenagergroupies im Kate-Moss-Lookalike-Wahn einhandelten, geben sie mit dem Zweitwerk "Primary Colours" schon einigen größeren Kreisen Anlass zum Hinhören.

Die unter der Mithilfe von Chris Cunningham (Portishead) aufgenommenen Tracks hieven die Band nämlich aus einem sich schnell erschöpfenden Garage/60's/Horrorpunk-Kontext in musikalische und atmosphärische Kompositionshöhen, die viel eher mit Größen wie Jesus And The Mary Chain oder The Chameleons (und deren Langlebigkeit) zu tun haben. Mit einem nachhaltig klingenden Besetzungswechsel am Synthesizer und einer bis ins Meditative reichenden Songverdichtung ist aus den Horrors praktisch eine neue Band entstanden - mit der Energie einer noch immer frappanten Jugend und der guten Erziehung einer aus den Achtzigern schöpfenden Grundschulausbildung. 

Vielleicht handelt es sich bei praktisch allen Songs auf "Primary Colours" um genial durchdachte Popsongs, allerdings eher schon im "Pop"-Sinne eines "Love Will Tear Us Apart" - Joy Division ist man dennoch im lyrischen Zitat am nähesten, denn der Titel "The New Ice Age" lässt an einen legendären Warsaw-Song denken; klangtechnisch nimmt sich der alarmierend sirenenhafte Horrors-Sprößling weit schwerer und düsterer aus. Der "Garage" der alten Horrors wurde mit "Primary Colours" vom Sumpffieber zum beklemmenden Exitenzwahn aufgeblasen - und wie selbstverständlich genial kontrastiert mit bittersüßen Liebesliedern ("And then I kissed her with a kiss / that could only mean goodbye"), Mary-Chain-Schellen und träumerischen Synthwave-Versatzstücken. Introvertierter, reifer und melancholischer klingen die Horrors bis zum letzten Ton im 8-minütigen Finale, "Sea Within A Sea", allerdings nicht, ohne Zuversicht und Hoffnung zu spenden. Nämlich auf weitere Werke in dieser überraschenden und überzeugenden Qualität.

 

Trackliste

  1. Mirror's Image
  2. Three Decades
  3. Who Can Say
  4. Do You Remember
  5. New Ice Age
  6. Scarlet Fields
  7. I Only Think Of You
  8. I Can't Control Myself
  9. Primary Colours
  10. Sea Within A Sea
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