...der böse Stolz...
Also ich finde es z.B. sehr gut, wenn man auf heimische Architektur stolz ist, nur als Beispiel. Warum? Weil man ihr dann erstens mit Respekt begegnet und ihr zweitens mit höherer Wahrscheinlichkeit genügend Aufmerksamkeit widmet, um aus ihr zu lernen. Wenn man z.B. die Schönheit eines tiroler Bergbauernhofs würdigen kann, reißt man ihn weniger leicht ab, nur weil es billiger wäre, als ihn zu erhalten. Wenn man Respekt für die tiroler Baukultur hat, denkt man mal darüber nach, wieso Bauwerke in den Alpen eine bestimmte Dachschräge haben und warum sich so etwas über Jahrhunderte entwickelt hat, während in anderen Gegenden eben Bauten mit Flachdach vernünftig waren und sind. (Und nein, da helfen auch neueste Baustoffe nicht.)
Ich finde es auch gut, wenn jemand in einen Trachtenschneiderkurs geht, sich damit auseinandersetzt, wie Trachten hergestellt wurden und wieso sie so oder so aussehen. Da kommt man dann drauf, daß er verblüffend praktische Gründe gibt, wieso eine klassische Tracht einen bestimmten Schnitt hat. Ich finde es schön, wenn die Leute dann sowas selbst herstellen und stolz darauf sind, das noch zu können und über die Tradition bescheid zu wissen.
Ich finde es auch schön, wenn Leute stolz drauf sind, einen besonders guten Käse zu machen, nach 400jähriger Familientradition, oder daß sie mit dem Kirchenchor schwierige aber interessante Messen singen und daß sie dafür über das Dorf hinaus bekannt sind.
Wenn die Leute eine Gemeinschaft bilden und sich in der Gemeinschaft in Hintertupfing wohl fühlen und stolz darauf sind, sind sie halt mit der Zeit stolz, Hintertupfinger zu sein. Ist das jetzt schlecht? Man kann sehr stolz auf seine hilfsbereite Dorfgemeinschaft, seine schönen Häuser, seinen Kirchenchor, seine besonders hervorragenden Käse sein, aber ZUGLEICH größten Respekt vor den ganz anders schönen Häusern in Norddeutschland und dem ganz anders schmeckenden, aber auch hervorragenden Käse in Südfrankreich oder der Musik aus Rumänien haben. Ich finde es eher schlecht, wenn man für all das keinen Sinn mehr hat.
Ich bin z.B. stolz darauf, daß es in Österreich ein Sozialsystem gibt, in dem die Leute nicht so schnell auf der Straße landen. Ich bin stolz darauf, daß unser Gesundheitssystem gut ist und auch den Armen hilft, und daß hier im Gegensatz zu Amerika keiner aus einem Krankenhaus heimgeschickt wird, weil seine Versicherung wichtige Maßnahmen nicht zahlt. Ich bin auch stolz auf unser Schulsystem, das nicht darauf ausgerichtet ist, daß Eltern für die Schulbildung ihrer Kinder zahlen müssen. Ich bin stolz darauf, daß es bei uns noch schöne Natur gibt - was der Fall ist, weil es bei uns Umweltschützer und ein gewisses (wenn auch noch stark verbesserungswürdiges) Bewußtsein in der Bevölkerung gibt, daß man nicht alles dem schnellen Geld opfern sollte. Ich bin stolz darauf, daß hier Frauen weniger unter struktureller Benachteiligung leiden müssen als in vielen anderen Ländern.
Das sind Beispiele für Dinge, zu denen wir durchaus beitragen, z.B. indem wir uns bei Wahlen für Parteiprogramme entscheiden, die nicht einfach nach dem Recht des Stärkeren gehen, indem wir für Dinge demonstrieren, die uns wichtig sind, indem wir uns engagieren, wenn wir etwas verbesserm können. Wir und unsere Vorfahren haben schon viel dazu beigetragen, indem sie für manche dieser Dinge gekämpft haben. Und wir tragen dazu bei, indem wir z.B. ordnungsgemäß unsere Steuern zahlen und nicht das Geld durch irgendwelche Schlupflöcher zur Seite schaffen, indem wir Leute nicht aufgrund ihres Geschlechts in starre Verhaltenskorsette stecken etc. Wir tragen dazu bei, indem wir dementsprechend leben und unsere Kinder erziehen. Wir tragen dazu bei, indem wir versuchen, besonders guten Unterricht zu halten oder besonders auf die Bedürfnisse von Menschen und ihrer Umgebung ausgerichtet zu bauen, zu gestalten, indem wir uns für soziale Projekte engagieren etc. Und wenn etwas bedroht wird, worauf man stolz ist, ist man wohl eher motiviert, es zu bewahren und zu fördern.
Ich denke, ein gewisser Stolz ist etwas gesundes - auch auf die guten Dinge seiner Heimat.