cover front

A Kiss in the Dreamhouse gehört laut Mojo Magazine zu den besten LP-Werken aus den Achtzigern; für das Erscheinungsjahr 1982 ist es von der Redaktion sogar als bestes Album gewertet worden. Wenn man bedenkt, dass diese Platte bereits das fünfte Langspielprodukt der Truppe um Siouxsie Sioux war, ist diese Wertung nicht laut genug zu betonen, zumal wir im Punk von einer sehr schnelllebigen Szene ausgehen müssen. Kritiker wie Fans lobten A Kiss in the Dreamhouse als besonders originell, das Album erreichte den 11. Platz der britischen Charts. Die zwei Singleauskoppelungen waren weniger erfolgreich – Slowdive wurde 41. und das (heute) bei Weitem bekannteste Lied Melt! kam nicht weiter als Platz 49.

Der Opener Cascade kommt mit einem charakteristischen Siouxsie-Sound daher: aus einer feinen Einleitung mit dem typisch mitreißenden Bassriff wird eine dynamische Nummer, bei welcher die Sängerin ihre Stimmmöglichkeiten vorbildlich präsentiert. Die Band hat bei den Aufnahmen für diese Platte mit neuen Sounds und „exotischen“ Instrumenten experimentiert; so wird etwa Green Fingers mit einer Variation auf Flöte eröffnet. Der Text dieses Liedes fällt ins mehrdeutigere Fach, eine bei Liedern aus der Feder der Frontsängerin öfters zu beobachtende Tatsache. Die vielseitigen Deutungsmöglichkeiten der Songs der Banshees sind ja zu ihrem Markenzeichen geworden, ebenso wie die Auseinandersetzung mit den dunklen Abgründen zwischenmenschlicher Beziehungen. So auch im ersten wirklichen Highlight des Albums, dem gespenstischen Obsession, einem Lied, das sich mit dem Phänomen Stalking aus der Täterperspektive befasst: „I broke into your room - I broke down in my room, touched your belongings there - and left a lock of my hair, another sign for you”. Auch diese beeindruckende Reihe von Momentaufnahmen eines/einer Besessenen wurde textlich von Siouxsie Sioux zubereitet. Das schnelle She’s a Carnival wiederum endet originellerweise mit einer akustischen Clown-Einlage auf der Zirkusorgel. Im beunruhigenden Circle kommt die Songschreiberin Siouxsie wieder auf eines ihrer Lieblingsthemen – dysfunktionale Familienverhältnisse als Spiegel einer Gesellschaft, in welcher Entfremdung auf allen Ebenen auf dem Vormarsch ist.

Im Vergleich mit den früheren Alben wie z. B. The Scream oder Juju scheint A Kiss in the Dreamhouse sorgfältiger produziert zu sein. Klanglich kommen nun Streicher, Glocken und viele andere Instrumente vor; signifikant ist sicher auch der Gitarrist John McGeoch, der vorher mit Magazine und Visage arbeitete. A Kiss in the Dreamhouse sollte sein letztes Banshees-Album werden, danach wird er sich Richtung The Armoury Show verabschieden. Das außergewöhnlich schöne Artwork ist einer Idee der Sängerin entsprungen – man wollte mit dem Cover eine Hommage an den Jugendstil und Gustav Klimt vollbringen, was auch gelang. Das Design übernahm die 1978 gegründete Künstlergruppe Rocking Russian, die auch für andere namhafte Punkbands wie The Clash oder Sex Pistols Covergestaltung machte.

Der Enthusiasmus der britischen (und übrigen) Musikpresse nach Erscheinen der Platte war groß, was heute immer noch nachvollziehbar ist. Neben dem (nicht ausufernd) experimentellen Musikstil ist es vor allem die qualitative Dichte des hier präsentierten Materials, die besticht – kein einziger Durchhänger bei 9 Liedern, auch wenn die Gesamtlänge mit knapp 38 Minuten sogar die des Debütalbums unterschreitet. Vielleicht das schönste Lied des Albums, Melt!, kommentiert sadomasochistische Verhaltensweisen und spricht von Eros und Thanatos als miteinander verbundenen Seiten derselben Leidenschaft – jedenfalls ein Anspieltipp! Gleich darauf folgt eine weitere klangliche Sensation, Painted Bird, wieder aus der Feder der Sängerin Siouxsie – ein schnelles Lied, welches auf den Tanzflächen zu selten zu hören ist. Ein weiteres Wahrzeichen der Banshees ist ja die Vielseitigkeit ihres musikalischen Schaffens, hier eindrucksvoll durch Cocoon bestätigt. Ein aus dem Off kommendes Klavier vermittelt das Gefühl, als ob hier ein Stück aus der Vergangenheit einstudiert wird, der mehrdeutige Text stammt hier noch mal von Siouxsie selbst.

Fazit: mit A Kiss in the Dreamhouse vollziehen the Banshees die Bewegung Richtung “gothic style” und gehen weg vom puren Punk, mit dem sie vier Jahre früher auf The Scream debütierten. Diese Transformation wird auf dem folgenden Album Hyaena weitergehen, mit einem neuen Gitarristen, dem Herrn Robert Smith - bekannt aus einem anderen, uns allen bekannten Meilenstein der alternativen Musik…

Trackliste

  1. Cascade
  2. Green Fingers
  3. Obsession
  4. She's a Carnival
  5. Circle
  6. Melt!
  7. Painted Bird
  8. Cocoon
  9. Slowdive
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