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Nach dem kameradschaftlichen Lagerfeuerepos „Sonnenheim“ und dem alraunend-psychedelischen Folk des Solanacea-Projekts dreht Kim Larsen die Stilerweiterungsschraube weiter, und zwar Richtung Popappeal. Wohlgemerkt ohne sich selbst und dem dunklen Charakter der bisherigen OTWATM-Veröffentlichungen untreu zu werden, denn im seinem Kern ist „The Lone Descent“ allemal ein klassisches OTWATM-Album, wenn sich unter der glänzenden Patina des poppigen Ausdrucks nicht gar das OTWATM-Album schlechthin, auf das Larsen bis jetzt hingearbeitet hat, verbirgt. Dunkel schimmert es durch, lauert, in den Nebentönen, in den Texten, im unverändert dunklen Timbre von Larsens Stimme.

Nach dissonantem Einstieg prescht der Opener „Sunspot“ mit peitschendem  Rhythmus in das Album hinein, und spätestens ab dem Refrain wird dem Hörer klar, dass Songwriting und die Suche nach der perfekten Melodie angesagt sind, dass sich Lee Hazlewood vor Douglas Pearce gedrängt hat.

Dann das nicht minder treibende, aber wesentlich dunklere „Absence“, das mit urbanem Chic aufwartet. Stilgetreu hat Kim Larsen für das Video zum Song, das er als Teaser für das Album schon vor einiger Zeit auf YouTube gestellt hat, Nachtszenen aus Martin Scorseses „Taxi Driver“ gewählt; ich wüsste nicht, welches Bildmaterial den Charakter des Songs noch besser wiedergeben könnte, höchstens eine nokturne Autofahrt aus einem David Lynch-Film vielleicht. „Look at me now, look at me, we’re falling” haucht Larsen, und man fühlt sich fast schon wie in einer sinistren Variation von Leonard Cohens „First We Take Manhattan“.

Es folgt der schmissig kalte Wave-Beat von „A Pyre of Black Sunflowers“, der schon nach knapp einem Drittel zunächst in Streicher und dann in sphärische Fragilität abdriftet. “We Are Dust” ist eine hymnische Ode an die Vergänglichkeit. Wunderbar der Einstieg zu “A Tomb of Seasoned Dye”, nach knapp fünfzehn Sekunden fällt der Akkord ab, wird zu einer kurz herumwütenden Unordnung runtergepitcht, die die möglicherweise als zu harmonisch empfundene Melodie in den richtigen Rahmen rückt. Ein Cello geleitet durch das ruhige und bedenkliche „Is It Out Of Our Hands?“.

„Watch The Skyline On Fire“  und „Immer Vorwärts“ machen die Wandlung von OTWATM wohl am deutlichsten sichtbar. In ihrem Kern sind beide klassische OTWATM-Songs, nur dass beim einen die Gitarre ein vergleichsweise rasantes Tempo und countryesken Einschlag annimmt, und beim anderen der Sonnenheim-Charakter mit einer lieblichen Popparaphrase versehen wird.

Den Abschluss bildet der vielleicht neofolkigste Track des Albums, mit Bombast, Geige und einem endgültig verhallenden Finale, das den Hörer mit ein paar traurigen Klavierakkorden aus dem Album ent- und mit dem Wunsch nach mehr zurücklässt.

Wenn an obiger Stelle behauptet wurde, dass sich Lee Hazlewood vor Douglas Pearce gedrängt hätte, dann muss nachgereicht werden, dass er diesen nie verdrängt und immer wieder vorgelassen hat. Das ist stilistisch und Anhand einiger Schlüsselbegriffe mehr als deutlich zu erkennen. Aber die Zeiten, in denen manch einer Kim Larsen vorwarf, einfach nur der bessere Douglas P. zu sein, dürften wohl endgültig vorbei sein. Nicht weil er dies nicht wäre, sondern weil er mittlerweile viel mehr ist und auf DIJ aufbauend etwas völlig Eigenständiges erschaffen hat. Dass John Murphy gleich bei drei Tracks mittrommeln darf, ist in diesem Zusammenhang mehr als gut und konsequent. (*)

Auch sonst ist das Album nicht arm an Mitstreitern, wovon sicherlich das eine oder andere Arrangement sowie die Instrumentierung der Songs insgesamt profitieren. Herauszuheben sind beispielsweise die dänische Komponistin und Cellistin Soma Allpass, der Trompeter Ebsen Tind oder die Violinistin Anne Eltard; allesamt näher bei Jazz, Kammer und Avantgarde als bei Neofolk.  Letztgenanntes Genre wird bestens durch Sonne Hagals John van der Lieth vertreten.

Mit „No more happy songs!“ bewirbt TESCO das Album, und tatsächlich, wenn das tragische Lied dermaßen vollendet daherkommt wie in vorliegendem Fall, kann das fröhliche nur verlieren. Einsamkeit, Schmerz, Verlust, Niedergang, im bittersüßen Teigmantel serviert. Ein kleiner, flugs zusammengetragener Auszug aus den Lyrics spricht Bände:“ (Track 1) … there’s a darkness coming in … (2) ... absence makes your heart grow colder … ( 3) …  and my heart’s decay in full bloom … (4) … this pitied love this petty life … (5) … take a look at the sun – it will fall … (6) … and when nothing remains – no love nor pain … (7) … the harder you struggle the tighter you lose … (8) … behold – I’m nothing  … (9) … another bridge has burned – another lesson learned … (10) … underneath love’s ugly pyre … (11) … hail that emptiness …“. Und dieser Querschnitt war jetzt wohlgemerkt zu hundert Prozent repräsentativ.

Leere, Trauer. Zuckerl, Trostpflaster. Bitterschokolade.

Eine der besten Veröffentlichungen des Jahres.

 

 

(*) Und dass OTWATM DIJ bei deren 30 Jahre-Jubel-Tournee begleiten ist sowieso jenseitig gut. Böse Zungen könnten behaupten, dass die Hörer so auf jeden Fall zu guten DIJ-Momenten kommen, obwohl sie die Ehre haben, den Meister und Paten höchstpersönlich erleben zu dürfen.

Trackliste

  1. SUNSPOT
  2. ABSENCE
  3. A PYRE OF BLACK SUNFLOWERS
  4. TEAR IT APART
  5. WE ARE DUST
  6. A TOMB OF SEASONED DYE
  7. IS IT OUT OF OUR HANDS?
  8. WATCH THE SKYLINE CATCH FIRE
  9. THE LONE DESCENT
  10. IMMER VORWÄRTS
  11. A SONG FOR DEAF EARS IN EMPTY CATHEDRALS
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