Nachdem Jännerwein gleich mit ihrem Debutalbum ein paar markante Akzente gesetzt und für erhöhte Aufmerksamkeit gesorgt haben, legen sie nun nach rund drei Jahren Arbeit einen Nachfolger vor, der, soviel vorweg, als rundum gelungen bezeichnet werden kann.
Schon nach einem ersten Hören wird klar, dass der Titel des Albums nicht nur gut gewählt, sondern auch programmatisch zu verstehen ist. Tatsächlich strömt die Sehnsucht in all ihren möglichen und unmöglichen Erscheinungsformen aus Wort und Musik, ist leitendes und vorherrschendes Stimmungsmotiv. Das gilt (vor allem) auch für die Instrumentalstücke, Intonationen eines sehnsüchtigen Seufzens und Aufatmens; sei es der richtungsweisende Einstieg oder das auffällig lange und lieblich verspielte „Daran haben wir die Liebe erkannt“. Und weil es ja letzten Endes um den Augenblick nach der Sehnsucht geht, gipfelt so manche Liedarchitektur in Optimismus und euphorische Aufbruchsstimmung. Vor und nach diesen Momenten herrscht dennoch, oder vielleicht gerade deswegen, Melancholie und anmutige Wehmut.
Da oder dort, in Trauer oder Freude, fehlt natürlich nicht das szenentypische Pathos. Das verdeutlicht gleich schon mal das zweite Lied, eine schlüssige Vertonung eines Gedichts von Gottfried Benn; eines Dichters, der ob seiner Biografie gut ins Neofolk-Schema passt. Geradezu typischen Neofolk bietet auch „My Prime of Youth“, eine Zusammenarbeit mit Thomas Bøjden (Die Weiße Rose). Szenetypisch auch die wiederkehrende Naturmystik, die vordergründig sehr nahe an jener von Bands wie Forseti zu sein scheint, in Wirklichkeit aber, und dies mag neben den teils sehr persönlich bis poetisch gehaltenen Texten vor allem der lokalen sprachlichen Färbung geschuldet sein, um einiges weicher und fließender daherkommt.
Dazu trägt auch bei, dass Jännerwein ihr musikalisches Handwerk verstehen und dies auch in ein organisches Klangbild einfließen lassen. Der Gesamteindruck ist warm und fernab jeglicher germanophilen Kantigkeit. Der sympathische Gesang ein wohliges Wechselbad aus brüchiger Nachdenklichkeit und mehrstimmig harmonierendem Glücksgefühl. Und spätestens ab der vielschichtigen Nietzsche-Vertonung „An den Mistral“ kann nicht mehr übersehen werden, dass das vermeintlich Typische gar nicht typisch ist. Aus den Wurzeln einer eindeutigen Genreverortung erwächst hier ein blühender Baum, der von Stiefeln ausgetretene Neofolk-Trampelpfad wird zugunsten zart durchwachsener und verwinkelter Nebenwege verlassen.
Überhaupt zeichnet sich „Nach der Sehnsucht“ durch einen relativ neutralen folkloristischen Ausdruck aus. Dort, wo andere Vertreter eines alpin-austriakischen Neofolks eher mit Ulk, Klischee oder Versatzstücken wie Psychedelia arbeiten, scheinen Jännerwein ihren Akzent in einer gewissen unbestimmten Authentizität gefunden zu haben. Dabei sind sie in manchen Momenten schon sehr nahe an alternativen Volksmusik-Projekten à la Trikont, zeigen, dass Neofolk in einer seiner Intentionen auch als eine Art widerspenstige Goth-Aneignung von Weltmusik betrieben werden kann. Würde man einige Titel des Albums, beispielsweise „Erwachen“ oder „Lass mich hinaus“, in den Ö1-Spielräumen hören, sie würden (im positiven Sinn) nicht weiter auffallen, nicht den stilistischen Rahmen des Programms sprengen.
Dieses Album bietet ein paar edle Tropfen sentimentaler Getriebenheit, deren Geschmack man immer mehr zu schätzen lernt, gewinnt mit mehrmaligem Hören immer mehr an Kraft, hat das Zeug dazu, nicht in der Plattensammlung zu verstauben, sondern immer wieder als gern gehörter und treuer Begleiter hervorgeholt zu werden. Weil es, im Grunde genommen, schlicht und einfach schön ist.
Im Übrigen möchte ich ab vorliegender Rezension auf eine Punktevergabe verzichten. Weil es einer differenzierten Bewertung nicht gerecht werden kann; höchstens ab einer Skala von Hundert vielleicht. Weil jeder, der lesen kann, auch lesen darf.
Trackliste
- Einleitung
- Durch Jede Stunde
- Sehnsucht
- Lass Mich Hinaus
- An Den Mistral
- My Prime Of Youth
- Daran Haben Wir Die Liebe Erkannt
- Schweigen
- Gram
- Erwachen
- Blühen & Vergehen
- Ecce Homo
- Dein Bild
Kommentare
naja, wenn ichs noch mal lese, eine apsnnende Diskussion wars wohl doch nicht.... eher ein zartbesaitetes Befindlichkeitsupdate
Möchte nur zB auf Daniels Death in June - Verriss des letzten Albums hinweisen, das mir zB gut gefallen hat, und woraus sich dann eine spannende, wenn auch ein wenig eigenartige Diskussion enwtickelt hat.
@Walter - ja, das stimmt auch wieder. Allein, die Zeit fehlt. Mir mangelt es nicht an Kritik oder dem Willen zur Kritik - deshalb finde ich es sinnvoller, diese Rubrik als "Empfehlungen" auszurichten... bei mir läuft es so: Ich kauf mir neue Alben, die mich von haus aus interessieren, und wenn eines in irgendeiner Art besonders ist, schreib ich ein Review dazu - das sind natürlich in erster Linie jene, die mir gefallen.
Ich habe das schon mal gesagt - ich finde negative Rezensionen auch wichtig, weil ich auch mal gewarnt werden will, wenn was nicht gelungen ist. Die Angst vor Kritik ist ein typisches Merkmal der momentanen Musikrezeption - kein schlechter Konzertperformer wird mehr ausgebuht, kein Album verrissen, alles immer eitel Wonne-Waschtrog. Find ich zahnlos und fad.
bin derselben Meinung, weg mit den Punkten.
@scrag!: genau so ist es. letztendlich bespricht man dinge, für die man sich entflammt; meist im gute, ab und zu auch im schlechten. oder die in einem gesamtzusammenhang (entwicklung eines genres, einer band, ...) interessant sind. da braucht man ine meinen augen keine punkte für. und für einfach nur negative rezensionen ist wirklich die zeit zu schade.
ich denke auch, daß ein Résumé in einem Satz an Stelle der Punkte besser wäre
Wegen der Punktevergabe... vielleicht sollte man das überhaupt bleiben lassen, letztendlich haben sich die Reviews, glaube ich, ohnehin schon zu "Empfehlungen" transfiguriert. Für negative Rezensionen hab ich zum Beispiel überhaupt keine Zeit.