Ich muss zugeben: ich hatte Haus Arafna vor dem intensiven Anhören dieses Albums immer als vollkommen unnötig abgestempelt, allzu beliebig und lieblos erschien mir das verzerrte Krachgedudel. Der Bandname allein schon! Schrecklich! Und Deutsche sind das auch noch? Deutscher Industrial, pffff. Man sieht, ich war total voreingenommen und fleißig beim Vorverurteilen. Obwohl ich sonst natürlich moralisch vollkommen integer bin, schlummert auch in mir ein musikalisch unbelehrbarer Geist.
Obwohl schon vom Vorgängeralbum "Butterfly" viel Gutes berichtet wurde, war mir "You" eigentlich relativ egal, bis ich selbst beim Zusammenstellen der "Best Of 2010"-Listen bemerkte, dass dieses Album wohl ganz gut bei befreundeten und von mir sehr geschätzten Menschen ankommt.
Ich schüttelte meine Vorurteile ab und ließ mich auf das Album ein - und wurde wirklich sehr überrascht - ein fast schon intimes, minimalistisches "Pain To Love" bildet den Auftakt - analoge, leicht schräg angeschliffene Sounds, und eine mit ordentlich Delay angereicherte zurückhaltende Singstimme - Herr Arafna klingt, als würde er beim Zwiebelschneiden vor sich hinsingen, womit er um einiges eindrucksvoller wirkt als beim atonalen, verzerrten Herumgeschreie.
Mit "You Don't Believe Me" geht es weiter, und der Rhythmus kehrt ein - die Atmosphäre, auf die sich Haus Arafna für das Album geeinigt haben, bleibt bestehen - ich proklamiere für dieses Album das neue Genre "Minimal Industrial EBM" - sehr sorgsam gewählte Sounds, hervorragend programmierte Effekte, eine bedrückende, durch die zurückhaltende Stimme genährte Stimmung - in diesem Album steckt ganz sicher ein Haufen Arbeit, denn der Mix und die spärlich eingesetzten Sounds sind mit sehr viel Behutsamkeit und Geduld eingepflanzt.
Es ist die Kontrolle über die kathartische Wirkung des Noise, die Haus Arafna hier perfektionieren... die Noise-Elemente sind gezähmt und überaus wirkungsvoll eingesetzt, detailreich effektiert, und die Rhythmik immer im Auge behalten - "You", das Titelstück, ist das beste Beispiel dafür - eingezäunter Noise, mitreißend verpackt, und - in diesem Fall - ein Ausbruch an vokaler Aggression, aber umgeben von verspielten analogen Sounds... traumhaft!
Die analogen Synthies oszillieren weiter, und das superminimalistische "Judas Kiss" knarzt dezent-verzerrt rund um die wieder zurückhaltenderen Vocals.
"Today You Died" ist ebenfalls sehr spannend, die Texte spannend und im Erzählstil vorgetragen.... fast schon ein Hörspiel, rund um Tod und Schuld:
Today you died, and I don't know if you're able to forgive me,
when you find out who has done all that to you.
"Lucifer" ist meiner Meinung nach eines der schwächeren Stücke auf diesem Album, zu sehr ausarten sollte der Gesang nicht, wie ich meine.
Dafür ist "The Woman You Are" ein Meisterwerk, das beste Stück am Album, und eigentlich kaum totzuhören. Frau Arafna singt mit, und der ruhig-schräge Anfang bereitet den Hörer optimal auf das durchaus tanzbare Lied vor. Sobald der Beat einsetzt, ist man schon gefangen. Die lasziv dargebrachten Texte, und der verführerische Rhythmus sind wirklich außergewöhnlich...
Die drei folgenden Stücke, "Fallen", "Alive Through Pain" und "Colony Collapse" sind wohl ein Zugeständnis an ältere Haus Arafna-Zeiten, ich finde sie im Rahmen des Albums allerdings ganz passend - hier wird sich ausgelassen, wenn auch - dem Album entsprechend - noch immer recht zurückhaltend. Die Noise-Katharsis tritt nicht ein, man tritt eigentlich auch hier nicht aus dem eigenartig-sinistren Stimmungsbild aus.
Das anderenorts hochgelobte Abschlußstück "Independent" finde ich nicht so herausragend, allerdings das perfekte Schlusslied, denn es lädt ein, sofort wieder zum Anfang zurückzugehen und das Album noch einmal zu hören.
Ein hervorragendes Album, zurecht für viele das Album des Jahres 2010!
Trackliste
- Pain To Love [You Never Made A Sacrifice]
- You Don't Believe Me [The Dream You Can Follow]
- Learned Helplessness [Can't You See A Way Out]
- You [You Without Yourself]
- Judas Kiss [You Were Chosen To Suffer]
- Today You Died [Did You Know Who I Am]
- Lucifer [Between You And I]
- The Woman You Are [There Is More Than You Expect]
- Fallen [Mercy For You]
- Alive Through Pain [You Expose The Core]
- Colony Collapse [A Sign For You]
- Independent [How You Can Be Loved]
Kommentare
Lieber Hr. scrag!
Der Hr. Scrag mag ja - wie ich zu wissen glaube - auch The Mission nicht. Was soll man da noch sagen......nochmal liebe Grüße und bis bald.......ist das hier jetzt nicht schon o.t. - erbitte um eine entsprechende Rüge, falls ja.
@Paul - ich würde niemals behaupten unfehlbar zu sein, und meine Meinung hat sich schon desöfteren um 180° gewendet... ich bin auf jeden Fall froh, Haus Arafna trotz meiner - wie im Review ja auch zugegeben - ungerechtfertigten Vorurteilen angehört zu haben.
Und ja: Über Geschmack zu diskutieren ist vollkommen müßig - genau so wie ich es einfach akzeptiere, dass der Großteil der Schwarzen Szene Sisters Of Mercy super findet, ist meine Meinung in den meisten Fällen ebenfalls nicht maßgeblich ;-)
Haus Arafna waren immer gut. Die neue ist aber ihr bisher bester Output. Würde sagen, dass ihnen ihre Inkarnation als November Növelet sehr gut getan hat.
Mut zum Pop quasi, mit "Angst".-)
Bin verwundert, dass der Herr scrag hier bzgl. der älteren releases eine so ablehnende Haltung hat.....aber auch hier gilt: de gustibus non disputandum. Selbstverständlich hat er halt aber einfach in diesem Fall nicht recht.-))
Konsequent ist die Veröffentlichungspolitik von galakthorrö aber allemal. liebe Grüße!
Also dem muss ich jetzt aber schon widersprechen! ;)
Sie haben ihren Stil seit der vorletzten (Butterfly) leicht verändert und sind mehr in Richtung Angstpop gegangen - sprich sie sind mitunter etwas ruhiger und vermutlich auch bekömmlicher geworden - aber ich finde die alten Sachen nach wir vor ausgezeichnet.
Aber generell.. die neue Platte ist nicht umsonst als mein Favorit 2010 gelistet ;)
jawohl ein sehr schönes album. man muss allerdings auch sagen, dass haus arafna früher einfach halt nicht so gut waren wie auf der neuen platte.