cover front

Diesem Review muss man gleich einen Disclaimer vorausschicken - wem sich grundsätzlich beim Ertönen einer technoiden Bassdrum im 4/4-Takt gleich alle Zehennägel aufrollen, der möge ab hier nicht mehr weiterlesen und sich mit einem "Pfui, Techno" dem nächsten Review zuwenden - denn Grausame Töchter spielen ganz sicher in einer Liga mit "solchen" Bands... wenn auch nicht ganz - bzw. ist diese Band eine Art Mischform, wie ich euch gerne darlegen werde - wer sich also auch einmal einem bisher eher zurecht ignorierten Genre zuwenden möchte, ist hier gut aufgehoben.

Ich weiß nicht genau, warum mich diese CD so fasziniert, vielleicht kann ich dies hier ja herausarbeiten...

Aranea Peel, die Dame hinter dem Projekt, hat mit Grausame Töchter ganz eindeutig ein weiteres Vehikel für ihre Obsessionen gefunden - dass es sich bei Peel um eine exhibitionistische lesbische Domina handelt, wäre in jedem anderen Zusammenhang vollkommen irrelevant, in diesem Fall jedoch handelt es sich um eine wohl mit Absicht kolportierte Tatsache - ich persönlich denke, es soll die Authentizität ihrer Texte und ihres Auftritts insgesamt unterstreichen und vermeiden, dass sie als beliebiger weiterer nicht ernstzunehmender Dark Techno-Act mit obszönen Texten mißverstanden und vorverurteilt wird... 

"Warum Nur?" konnte man schon vorab sehen und hören, und auch das durchwegs explizite Video dazu war wohl schon ein erklärendes ästhetisches Statement zur künstlerischen Ausrichtung... entsprechend schnell ist es dann übrigens auch wieder gesperrt worden.

Hier, zur Lesebegleitung, also "Warum Nur?" in der Standbildfassung:

Aber nun zum Album selbst: "Mein Eigentliches Element", das Debüt des bereits 2009 gegründeten Projekts, ist musikalisch ein recht durchmischtes Werk, jedoch durchwegs mit Fokus auf harte, schnelle, elektronische Beats und knarzenden Bassläufe. Die Texte, die sich um Sex, Sadismus, Psychopathie und Erniedrigung drehen, sprechen eine sehr eindeutige Sprache - obszön, aber nicht stumpf, eher ungewöhnlich in ihrer Direktheit, und ungewöhnlich auch insofern, als es sich um deutsche Texte handelt.

Und hier greift die eingangs erwähnte Authentizität - jeder weniger ernstzunehmende Act hätte schon bei den ersten Textzeilen des Openers "Untergang" massives Fremdschämen ausgelöst, hier jedoch nimmt man Frau Peel jede Zeile ab. Mit einem ordentlichen "Bumm-Bumm-Bumm" gehts los, die Auswahl der Sounds tut ein wenig weh, die Delay-Effekte auf der Stimme kommen aber ganz gut an. Peel's Stimme ist sehr präsent, dominant (haha!) und teils punkig-rotzig. Nicht grad das beste Stück, aber ganz okay.

Ähnlich harsch folgt "Mephisto", wohl ein eingeplanter Tanzflächenknaller bei einschlägigen Veranstaltungen, nicht überragend viel Tiefgang - in etwa wie DAF vs. Cobra Killer auf Stereoiden... ein wenig austauschbar und beliebig.

Ganz anders wird's dann bei "Beleidigte Engel" - kurz bevor man aufgrund der eher flachen beiden ersten Stücke schon abwinken will, ändert sich die Gangart - es wird drückend und schleppend, während uns Aranea Peel erzählt:

Mich interessiert es nicht, wenn irgendjemand von sich spricht.
Du sagst, Charakter sei wichtig, für mich ist das null und nichtig.
Du willst in den Garten Eden, doch mit Engeln darf man nicht reden.
Halt das Maul und biete dich an, ein Engel entscheidet was man brauchen kann.

Meine Augen sind beleidigt, nichts ist da, was dich verteidigt.
Engel wollen Attraktionen, kriegen sonst schnell Aggressionen.

"Bis Das Blut Fließt" ist ein weiterer tanzbarer Track, in dem sich Frau Peel deutlich deklariert:

...denn mein Ekel lässt mich alle Männer hassen.
Nur Mädchen dürfen mich anfassen.

Ein durchwegs ordinär getextetes Stück, und trotz der vermeintlich allzu plakativen Explizitheit erhebt sich in mir kein entsprechender Verdacht.

"Freundin" ist ein recht poppiges Stück, wären da nicht wieder diese "Ausdrücke", huch! Ganz nett, in etwa auf Emilie Autumn-Niveau.

Hörspielartig geht es dann bei "Wie Eine Schlange" los, bis ein (vermutlich) analoger Synth und ein träger Rhythmus einsetzt, und sich ein sehr schräges Stück entwickelt, das Grausame Töchter erstmals auf dem Album eindeutig von allzu seichten Genremitstreitern abhebt.

Ebenso verschroben geht es bei "Liebestod" weiter, wenn auch flotter und poppiger, Peel's Stimme verliert sich im Delay.
Wie öfter auf dem Album wünscht man sich auch bei diesem Track einen kompromissloseren Zugang, entweder deutlich mehr (Industrial-) Härte oder viel weniger von allem - es scheint als könnte man sich nicht zwischen einem minimalistischen Zugang á la Die Form und einem Haudrauf-Neo-EBM-Knaller entscheiden, und bleibt leider insgesamt ein wenig unentschlossen.

"Drecksau" verfolgt dann wieder einen minimalistischeren Ansatz, oft bleibt bis auf Drums und Synthbass kaum was übrig, was dem Stück ganz gut tut.

Ungewöhnlich episch wird es dann bei "Mein Messer", es wird auch ziemlich "psycho". In 4 Kapiteln entwickelt sich auf fast 12 Minuten die ziemlich kaputte Geschichte einer Psychopathin, die sich in ihrer Schlichtheit erschreckend realistisch anhört - musikalisch steigert es sich immer mehr, von recht noisig über soundtrackartig bishin zum unvermeidlichen Bumm-Tschack-Geratter.

Den Abschluß bildet das eingangs erwähnte "Warum Nur?" - das in derselben Manier wie "Mein Messer" anfangs im Erzählstil vorgetragen wird, und sich dann im Verlauf "steigert".

Warum?
Warum nur?
Warum nur musst du dich so quälen?
So leiden? Warum?
Warum musst du so viel Leid ertragen?
So viele Schmerzen?
Warum nur musst du auf die Knie gehen?

Ich sag' es dir:

Weil ich es so will.
Weil es mir Spaß macht.

Fazit: Ein sehr abwechslungsreiches Album, grundsätzlich im Neo-/Techno-EBM angesiedelt, aber mit überraschend vielen Anleihen aus anderen, ernstzunehmenderen Stilrichtungen. Sehr überdreht und hysterisch bisweilen, sicher nicht jedermanns Sache. In aller Abgedrehtheit aber ein authentisches Album einer Künstlerin, die wohl mehr will als sich nur ein Aufreger-S/M-Image zu verpassen. Trotzdem - oft zu einfach gestrickt - die teils wirklich störenden Technobeats nerven manchmal einfach zu sehr.

Trackliste

  1. Untergang
  2. Mephisto
  3. Beleidigte Engel
  4. Bis Das Blut Fließt
  5. Freundin
  6. Wie Eine Schlange
  7. Liebestod
  8. Drecksau
  9. Mein Messer
  10. Warum Nur?
Weiterführende Links