Mit "Horse Rotorvator" brachten Coil 1987 das regulär zweite Studioalbum heraus, das von der (Maxi-) Singleauskoppelung "The Anal Staircase" angekündigt wurde.
Neben der Standardbesetzung John Balance und Peter "Sleazy" Christopherson waren bei diesem Album ausserdem noch Stephen Thrower, Clint Ruin (a.k.a. Jim Thirlwell bzw. Foetus), Billy McGee, Paul Vaughn (Sprecher in "The Golden Section") und ein gewisser "Raoul Revere" bei den Aufnahmen dabei - letzterer ist niemand geringerer als Marc Almond, der sich übrigens schon einmal bei einem Marc and the Mambas - Livealbum "Raoul" nannte.
Marc Almond ist bei der Vinyl-Ausgabe des Albums auf zwei Stücken zu hören - und zwar in den Background Vocals zu "Slur" und "Who by fire".
"Horse Rotorvator" ist eingängiger als der Vorgänger, "Scatology" - was möglicherweise auch an der Instrumentierung liegt. Für das Vorgängeralbum stand Coil einer der seltenen Fairlight-Sampler (der erste ausgereifte Sampler überhaupt) für begrenzte Zeit zur Verfügung, hier jedoch finden sich ausgefeiltere Arrangements und vielseitigerer Einsatz verschiedener Instrumente.
Die Themen des Albums reichen von Homoerotik über Magie bishin zu einer der aufregendsten musikalischen Auseinandersetzung mit dem Tod (in "The First 5 Minutes After Death", auch in "Blood From The Air" und "The Golden Section") - die Stimmung ist viel düsterer als beim Vorgänger, obwohl durchaus Ähnlichkeiten auch zu erkennen sind. Insgesamt jedoch merkt man eindeutig eine Weiterentwicklung des Stils und der Arbeitsweise - "Horse Rotorvator" wirkt auch in sich stimmiger - fast schon wie ein Konzeptalbum, was besonders gut bei den zuletzt genannten drei "Todesstücken" auffällt.
Den Auftakt macht "The Anal Staircase", ein wohl eher ein- als zweideutiges Stück, das gemeinsam mit dem sechsten Stück, "Penetralia", noch mehr die Industrial-Wurzeln der Band verdeutlicht.
Mit "Slur" sample.mp3 folgt das eingangs erwähnte Stück mit Almond-Beteiligung, das eigentlich recht eingängig daherkommt, wäre da nicht diese unterschwellige dunkle Stimmung, die über dem gesamten Album liegt.
Babylero, ein von Ratschen begleiteter Ausschnitt eines spanischen Traditionals ("Maria Isabel") verwirrt angenehm, und leitet dann gleich in eines der beliebtesten Coil-Stücke über: "Ostia (The Death Of Pasolini)", das, wie der Titel schon sagt, sich mit dem bis heute nicht restlos geklärten Tod von Pier Paolo Pasolini wie auch mit den "Todesklippen", Beachy Head bei den Kreidefelsen von Dover, beschäftigt - jene Klippen bieten vielen Menschen die ideale Umgebung für einen romantischen Selbstmord.
"Herald", das bei einer womöglich nicht so motivierten Blaskapelle mithören lässt, dient als Prolog zu "Penetralia", einem recht nett "angenoisten" Stück, das hier in seiner wohl gefälligsten Form vorliegt - andere Versionen wie auf den später erscheinenden Outtakes-Alben "Unnatural History" und "Gold is the metal [...]" klingen da schon viel krachiger und schräger. Dennoch eines der herausragendsten Stücke auf dem Album.
"Circles Of Mania", auf der Vinyl-Ausgabe der Opener der B-Seite, ist ein Stück das seinem Namen mehr als gerecht wird - John Balance läuft dem Irrsinn hinterher und gelegentlich auch voraus, und skandiert "you get eaten alive by the perfect lover", bevor er dem Wahnsinn freien Lauf lässt... unterstützt von Clint Ruin ein insgesamt komplett verstörendes Stück.
"Blood from the Air" sample.mp3 ist eines der besten Coil-Stücke überhaupt - getragen von John Balance's großartiger Stimme und den für Coil so einzigartigen atmosphärischen Sounds in der Tat ein Meisterwerk wie es nur Coil hervorbringen konnten. Eine eindringliche Erzählung, gespickt mit Wortbildern, die unter die Haut gehen ("The world is in pain, and should be put down - and god is a sadist, and that, he knows it" oder etwa "Death, he's my friend - he's promised me a quick end"), in grandioser Untermalung.
"Who by fire" sample.mp3 beweist nach dem schon zuvor veröffentlichten "Tainted Love", dass Coil mit "Coverversion" wohl etwas anderes meinen als allgemein angenommen - Coil spielen nicht nur Lieder nach, sie erfinden sie neu. "Who by fire", im Original von Leonard Cohen, wird möglicherweise erst in dieser Version vollständig (be-) greifbar. Coil verleihen diesem Lied die würdige Interpretation, wie es Cohen wahrscheinlich selbst niemals gekonnt hätte - hat er jenem Text, der seiner Version zugrundeliegt (aus der "Unetaneh tokef" aus der jüdischen Liturgie) das Glaubensgewand gelassen, reissen Coil dem Stück sozusagen die Kutte vom Leib und bringen es in ein vollkommen anderes Umfeld.
"The Golden Section", wieder ein gesprochenes Stück, bringt Coil auf ihren okkultistischen, magischen Background zurück - eine theologische Abhandlung über Liebe und Tod und die Korrelation der Darstellungen in Mystik und Kultur. Eros und Thanatos werden als Zwillinge dargestellt:
"We are told that Azrael, Death, appears to our spirit in a form determined by our beliefs, actions, and dispositions during life. He may even manifest invisibly so the man may die of a rose, a rheumatic pain, or of a rotting stench. When the soul sees Azrael, it falls in love, and its gaze is thus withdrawn from the body as if by a seduction. Great prophets and saints may even be politely invited by Death, who appears to them in corporeal form. Thus it was with Moses and with Mohammed. When the Persian poet Rumi lay on his deathbed, Azrael appeared as a beautiful youth and said, "I am come by divine command to enquire what commission the Master may have to entrust in you."
Das Album endet mit "The fiirst 5 Minutes After Death", einem Stück das selbsterklärend ist - in einer Intensität, die kaum zu beschreiben ist.
Zurecht wird "Horse Rotorvator" als Meisterwerk von Coil beschrieben. Zeitlos.
Trackliste
- A1 The Anal Staircase (3:58)
- A2 Slur (3:28)
- A3 Babylero (1:09)
- A4 Ostia (The Death Of Pasolini) (6:01)
- A5 Herald (4:11)
- A6 Penetralia (2:59)
- B1 Circles Of Mania (4:58)
- B2 Blood From The Air (5:20)
- B3 Who By Fire (2:34)
- B4 The Golden Section (5:35)
- B5 The First Five Minutes After Death (4:43)
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