cover front

Die Väter haben sich restrukturiert und zeigen, dass sie die besseren Söhne abgeben: jene Bands, ohne die die heutige Musiklandschaft mit „Neo-Postpunk“, „Electroclash“ und „New Rave“ so nicht existieren würde, melden sich zurück und zeigen ganz unprätentiös auf, welche Welten in den Tönen jenseits des Hypes stecken. Den (gerechtfertigten) Medienrummel um genrekonstituierende Werke wie „Algorythmes“ (1980) und den Hit „Exposition“ hat die französische Cold Wave / Postpunk Band Charles de Goal nämlich schon so lange hinter sich, dass mit einer reflektierten Distanz zum eigenen Schaffen gerechnet werden darf. Und in dieser Zeit haben die Herren wohl auch all das gelernt, was sie ihrem fünften Langspieler auspacken (und sich damit in die „Gefahr“ einer neuen Aufmerksamkeitswelle begeben).

Tatsächlich klingt „R est ruc turat ion“ ganz so, als wären Charles de Goal nicht gut 20 Jahre lang im Untergrund, aus dem sie einst kamen, versunken gewesen. Die Frische, mit der die Kultformation um Gründer Patrick Blain auf Album und auch Bühne heute zu Werk geht, straft jegliche Vorwürfe der „Retro-Aufwärmerei“ Lügen. Mehr noch, Charles de Goal rocken von Anfang bis Ende derart, dass einen die Verschnaufpausen wie „Figures Imposées“ oder „Destination Terre“ vor dem sicheren Erschöpfungstod durch konstant-heftige Mitzappelei bewahren. Das Oszillieren (weil fließend) zwischen dem zugleich expressivsten und bedächtigsten Punk (schneidende, steinespaltende Rythmusgitarren) und Cold Wave (discoerschütternde, post-futuristische Synths) bringt ein beeindruckendes Gleichgewicht, das manchmal zugunsten des Ersteren ausschlägt und somit selten Platz für die - der kalten, französischen Variante des New Wave so inhärenten - Melancholie lässt.

Getrieben von Identitätskrisen („Régularisez Moi“, „Identité“), Dekadenz („Next Stop Disney World“, „Décadence“) und Leidenschaft („Passion/Eternité“ - über den Selbstmord des in Österreich geborenen, französischen Philosophen André Gorz) gehen die Songs nahtlos ineinander über und verknüpfen so den zeitlosen Existenzialismus von „R est ruc turat ion“ zu einer – man möchte fast widersprüchlich sagen - „runden“ Sache. Patrick Blains tief-schmeichelnde Stimme, sein klares, nachdrückliches Französisch und sein charmant gefärbtes Englisch/Deutsch lassen sich im Vergleich zu vielen Genrekollegen (die oft eher „nur“ ein zusätzliches Instrument mimen) als prägnant hervorheben und somit der druckvollen Rhythmusfraktion (AE: synthes, guitare, programmation / Etienne Lebourg: basse / Jean-Philippe Brouant: batterie) als ebenbürtig gegenüberstellen. Mit Text und Inhalt beweist Bain einmal mehr, dass es „intelligente Rockmusik“ geben kann (auch wenn sich diese Wortkunst mit meinem Französisch nur leidlich gut erfassen lässt) – man braucht also bei Tanz und Exzess zu Charles de Goal nicht einmal das schlechte Gewissen über Kopflosigkeit fürchten.

Den Lesern, die an dieser Stelle das gewohnte „Früher war alles besser“ erwarten, sei diesmal nicht die Freude bereitet und stattdessen entgegnet: Es ist immer noch besser. Denn Früher ist Heute und dem Heute voraus.

Trackliste

  1. Régularisez Moi
  2. Passion / Eternité
  3. Choque Moi
  4. Procession
  5. Identité
  6. Figures Imposées
  7. Next Stop Disney World
  8. Trop Tard
  9. Décadance
  10. Destination Terre
  11. Hais Toi!
  12. Restructuration
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