Das Wroclaw Industrial Festival fand heuer zum zehnten Mal statt. Walter Robotka berichtet.
Das Wroclaw Industrial Festival feierte heuer seine zehnte Ausgabe. Veranstalter Maciek Frett stellte dafür wieder ein exquisites Line-Up zusammen, das natürlich von den beiden Abenden in der Gothic Hall dominiert wurde.
Doch bereits am Donnerstag gab es einiges Interessantes zu hören: der Clock DVA-Ableger "The Anti Group" präsentierte in einer Galerie eine Werkschau von Abstrakt bis Greatest Hits, inklusive "Broadcast Test". Um 20 Uhr wurde die Maria Magdalena-Kirche zum Schauplatz des Geschehens: Matt Howden alias Sieben bot einen schönen Überblick über sein Schaffen. Wie immer in den letzten Jahren trat er dabei alleine auf, spielte seine Violine, loopte sie, und baute somit einen beachtlichen Sound auf. Nach einer Stunde ging das Set über in die neue Supergroup "7JK - Sieben versus Job Karma". Howdens Violine traf dabei auf elektronische Rhythmen und raue Gitarrenflächen. Gekrönt wurde diese Premiere mit einer Coverversion von OMDs "Maid of Orleans". Ein fantastischer Auftakt und eine perfekte Einstimmung auf die beiden nächsten Abende.
Am Freitag eröffneten die polnischen "Astrid Monroe" das Programm. Bekannt geworden durch ihre CD mit Psychic TV-Mastermind Genesis P-Orrdige, legten sie ein rocklastiges solides Set hin, dem aber trotzdem die Höhepunkte fehlten. Am Bühnenrand saß neben den Herren der Band eine junge Dame, geknebelt, Rücken zum Publikum, die dann die Zugabe "When I was young" sang. Oder kam die Stimme vom Band? Ob nun diese Dame besagte Astrid Monroe sein soll, oder ob sie einfach als Obskurum rumzusitzen hatte, bleibt offen.
Danach betraten "Peter Hope's Exploding Mind" die Bühne. Hope, ehemals Sänger des Clock DVA-Nachfolgeprojekts "The Box" und häufiger Kollaborateuer von Richard H. Kirk, war zum ersten Mal seit ewigen Zeiten auf einer Konzertbühne. Unterstützt wurde er dabei von Jörg Goldhalm, seines Zeichens Musiker der Wiener Bands "Naum" und "Rokko Anal & The Coathangers". Obwohl die beiden sich in Polen zum ersten Mal trafen, erweckten sie den Eindruck, als hätten sie nie etwas anderes gemacht, als zusammen zu musizieren. Ihr Set bestand zur Hälfte aus neuen Songs, zum Teil aus Titeln von verschiedenen Projekten von Hopes bisherigen Bands. Die Krönung ihres großartigen, aber leider viel zu kurzen Sets war dann "Leather Hands", eine Nummer, die Hope mit Richard H. Kirk MItte der Achtziger veröffentlicht hatte, eine EBM-Industrial-Bombe, die ihresgleichen sucht.
Die Tschechen "Skrol" betraten als nächstes die Bühne und bestachen durch ein intensives lärmiges Set, das aus langen Tracks bestand, zu denen Sängerin Martina rituell-beschwörende Texte und eine Art Tai-Chi Performance von sich gab.
Das Highlight des ersten Abends waren dann "Thorofon" aus Bayern. Das Set bestand zu einem großen Teil aus Songs der neuen CD, aber Kracher wie "Riot Dictator" oder "Gigamesh" durften genauso wenig fehlen. Gekleidet ganz in weiss bewies das Duo einmal mehr, dass sie die einzigen würdigen Nachfolger der großen SPK sind. Gezielt eingesetzte Lärmpassagen trafen hier auf brutale Beats, und mit "Flesh and Steel" hat man neuerdings sogar eine SPK-Coverversion im Programm. 60 Minuten intensive Musik, live großartig umgesetzt, ein Augen- und Ohrenschmaus.
"Absolute Body Control" bestanden aus Dirk Ivens und Eric von Wonterghem und gaben ein klassiches Set zum besten. Der Sound war druckvoll, die Lautstärke fein, aber was bei Dirk Ivens' Live-Auftritten oft stört ist die Tatsache, dass es absolut kein einziges Live-Element gibt. Ivens hält sich gesanglich so nah wie möglich an die Darbietung auf CD, Wonterghem spielte die Songs haargenau dem Album nach (wenn er es denn auch wirklich alles selber spielt). Somit ist ABC feine Partymusik, würde man sie sich zuhause aber ähnlich laut anhören, hätte man so ziemlich denselben Effekt.
Der Auftritt von "Clock DVA" wurde mit großer Spannung erwartet. Überraschenderweise gab es zum großen Teil neues Material zu hören. Von den alten Nummern wurden "Fractal 9", "Sound Mirror" und "The Hacker" gespielt. Klanglich passen alt und neu perfekt zusammen. Die neuen Songs klingen wie Überbleibsel aus der Phase der Neunziger Jahre. Genau das ist auch das Problem: war die Band bisher immer allen anderen soundtechnisch weit voraus, so klingen sie heute eher wie eine Kopie ihrer selbst. Dazu kam weiters, dass nicht zu erkennen war, was die drei Herrschaften auf der Bühne denn nun wirklich live fabrizierten (mit Ausnahme von Adi Newtons Gesang). Am Ende gab es als Zugabe zwei der alten Songs nochmal, was auch nicht gerade Freude aufkommen ließ. Entweder man bereitet 2 Nummern mehr aus einem über 35 Jahre umfassenden Repertoire vor, oder man lässt es, und betritt die Bühne nicht mehr. So wurde der Deja-vu Effekt noch mehr verstärkt. Eine feine Band an sich, aber vielleicht ein wenig eine Enttäuschung.
"Amber Asylum" haben ja durchaus ihre Fans, aber das esoterische Geschramme war um 2 Uhr früh dann doch wohl eher fehl am Platz. Wenn es einen Effekt hatte, dann jenen, die Besucher ans Bett denken zu lassen. Tag 3 wurde von den Hippies der "Magic Carpathians" eröffnet, darauf folgten "Fjernlis" aus Deutschland.
"Thighpaulsandra" ist eines der letzten lebenden Mitglieder der legendären Coil. Seine Soloalben bestehen fast immer zum Teil aus langen experimentellen Synthie-Passagen, zum anderen aus kraftvollen Rocksongs, und genauso war das Set dieses Abends aufgebaut. Begleitet wurde Thighpaulsandra von Sion Orgon an den Drums, gekleidet in eine rote Burka. Ein äußerst unerwarteter Anblick. Gespielt wurden vor allem Titel aus den kommenden neuen Alben, hiér gab es keine Greatest Hits-Darbeitung, sondern nur spannende neue Musik, virtuos umgesetzt. Vielleicht *das* Highlight des Festivals.
"Zoviet France" hatten es danach schwer. Gesandwich't zwischen zwei Rock-Acts kam ihr Ambient Set relativ langweilig herüber. Ein wenig uninspiriert wirkte die Darbietung, doch vielleicht lag es auch am Ambiente. Die gleiche Musik könnte in einem kleinen bestuhlten Rahmen durchaus spannender wirken. Die Tatsache, dass keine Visuals das Set begleiteten, machte die Rezeption des Sets nicht gerade leichter.
Eine weitere Premiere sollte danach folgen. Das erste Konzert von "Der Blutharsch and the Infinite Church of the Leading Hand" wurde mit großer Spannung erwartet. Die Band hatte sich ja in den letzten Jahren vom Martial-Industrial-Act in ein Progressive Rock-Monster verwandelt, dabei aber manchmal gewirkt, als wäre die Transformation noch nicht ganz vollzogen. Auf ellenlange Intros folgten oft recht kurze (Folkrock-) Songs. In Wroclaw war das anders. Eine brachiale Wall of Sound stülpte sich von der Bühne über das Publikum, die Band versprühte eine zufriedene Ausstrahlung und hatte sichtlich Spass an ihrer neuen Inkarnation. Die Aufnahme von John Murphy als Drummer sollte sich als perfekte Wahl herausstellen, denn vorbei sind die Zeiten des Neofolk-Getrommels, Murphy konnte endlich einmal zeigen, was er kann. Vielleicht war er im Mix ein wenig überpräsent, während die Stimmen und der Bass ein bisschen zu weit hinten waren, aber Murphy kam als Dampfwalze über die Fans und genau das ist es, was "Der Blutharsch" als neue Rockband braucht. Man scheint dort angelangt zu sein, wo man hinwollte, Gratulation.
Das Konzert von "Genevieve Pasquier" musste aus gesundheitlichen Gründen leider entfallen, stattdessen spielten zwei polnische Bands und danach noch "Minamata". Der Autor dieser Zeilen hat ihren Aufritt nicht mehr erlebt, aber es hieß, es wäre mittelmäßig gewesen. Ein großartiges Festival, das sich in eine lange Reihe großartiger Festivals in Wroclaw einreiht. Schade, dass es noch 12 Monate bis zur elften Ausgabe dauert.
Fotos: lvl
Kommentare
toller Bericht !!
Nicht zu vergessen die großartigen DJ-Sets von den überaus attraktiven Wiener Dj's Robotka und Scrag!, die eigentlich das ganze, ohnehin schon phantastische Festival erst abgerundet haben ,-)
Schön war auch dass doch einige Leute aus Wien gekommen sind!
Noch mein Kommentar dazu:
Meine Favourites waren Thorofon, Peter Hope's Exploding Mind und Absolute Body Control - bei letzteren muss ich Walter natürlich zustimmen, da gabs keine Variationen und Überraschungen, aber in dem Fall erwartet man sich das ja fast schon - besser als wenn da auf einmal ein Schlagzeuger und ein Gitarrist auf der Bühne stehen.
Clock DVA waren ehrlichgesagt auf Dauer ein wenig langweilig, was einerseits an der Musik lag, die zwar großartig ist, aber halt nur bedingt livetauglich - andererseits aber auch an der fehlenden Performance. Visuals reichen nicht immer aus.
Der Blutharsch - exzellent, überraschend wuchtig und schön laut.
Minamata waren sehr nett, es war halt schon recht spät, und die Ohren schon recht in Mitleidenschaft gezogen.
Was das Festival aber so besonders macht: Das recht internationale Publikum, sehr sympathisch, sehr friedlich und vor allem: interessiert an allem!
Auch wenn zb Amber Asylum dann eine ziemliche Verlangsamung darstellten, es sind doch recht viele geblieben und haben gelauscht.
Industrial-Publikum ist halt einfach das angenehmste.
großartiges festival!
sehr netter bericht von einem sehr, sehr netten festival.