Vor vier Jahren tauchte der Name eines neuen Festivals zum ersten Mal im Internet auf: Tower Transmissions in Dresden. Ein Festival, das sich ganz gnadenlos ausschließlich den härtesten Vertretern des Industrial widmen sollte, nämlich dem Genre Power Electronics.

(Bericht: Walter R.)

Das Line-Up der ersten Ausgabe versprach schon sehr viel: neben dem polnischen Industrial-Urgestein Job Karma trat damals die deutschen Industrial-Legende Gerechtigkeits Liga auf, sowie der SPK-Ableger Last Dominon Lost und Philip Bests Whitehouse-Seitenprojekt Consumer Electronics. Das Highlight im ersten Jahr stellte die deutsche Live-Premiere der äußerst selten spielenden Industrial-Legende Ramleh dar, die auch spontan mit ihren Consumer Electronics-Kollegen jammten und eine ganz unglaubliche Wall of Sound in den sympathischen Club Puschkin stellten.

In den folgenden Jahren traten viele große Namen des Genres beim Tower Transmissions auf: die Schotten Cindytalk gaben sich ebenso ein Stelldichein wie die englischen Brutal-Elektroniker von Sutcliffe Jugend oder der schwedische Hühne Folkstorm. Für das Jahr 2014 haben sich die beiden Veranstalter Eric Byrne und Ina Schmiedtgen etwas besonderes ausgedacht und das Festival auf 2 Tage verlängert. Wer sich für Power Electronics interessiert und das Line-Up gesehen hat, dem blieb heuer gar nichts anderes übrig, als den Koffer zu packen und Dresden einen Besuch abzustatten.

Der Freitag war mit sechs Band perfekt gebucht. Die Finnen von Pain Nail spielten ein ausgezeichnetes Set, IRM-Musiker Jarl putzte einem ein Weilchen kräftig die Ohren durch, und Henrik Nordvargr Björkk trat diesmal mit seinem Dark Ambient-Projekt Nordvargr auf. Im Gegensatz zu Folkstorm gab es dabei (fast) keinen Rhythmus, sondern vielschichtige düstere Elektronik, die Bühne war dabei einfach schwarz, so wie es die Ästhetik des ganzen Projektes vorgibt. Klaus Hilger, Vocalist von Genocide Organ und Ko-Betreiber des Labels Tesco, präsentierte mit seinem Projekt Ke/Hil fast ausschließlich neue Sounds. Unterstützt von Anenzephalia-Mastermind Brigant Moloch wechselten sich die beiden an den Vocals ab, und überraschten mit abwechslungsreichen Klängen. Vom aktuellen Album war dabei fast oder rein gar nichts zu hören, was Ke/Hil allerdings vortrugen, lässt die Vorfreude auf das neue Album wachsen. Headliner am ersten Abend waren dann die Bayern von Thorofon. Auf Wunsch der Veranstalter spielte das Trio ein Old School Set, und wie sich zeigte, steht ihnen dieses krachige Frühwerk live am allerbesten. Ihre Mischung aus brutalem Krach und treibenden Beats erzeugte im Puschkin fast so etwas wie eine rockige Stimmung, und das Publikum blieb nach einer guten Stunde absolut begeistert zurück.

Der Samstag stand anfangs unter einem etwas unglücklicheren Stern. Gleich der erste Act, Vilgoc aus Polen, erzeugte eine gute Stunde Verspätung im Zeitplan, weil dem Musiker sein ganzes Equipment gleich zu Beginn von der Bühne fiel. Sein Set wurde später nachgereicht, es gab eine Menge Krach, der am Anfang genauso klang wie am Ende. Eine Enttäuschung war der Auftritt der Tunnels Of Äh. Vom ehemaligen Sänger von Head of David (einer Band, in der auch Justin Broadrick spielte, kurz bevor er Godflesh gründete) hatte man sich allerhand erwartet. Stattdessen bekam man aber eine komplett uninspirierte Performance, wie man sie selten erlebt hat (und die auch mehr als die Hälfte des Publikums gelangweilt an die Bar trieb). Ein 10 Minuten langes Video, das immer wieder neu gestartet wurde, unterstützte ein langweiliges Drone/Ambient-Set, Stephen Burroughs plapperte irgendetwas völlig uninspiriertes ins Mikro, und das war es auch schon. Es gab bei seinem Auftritt wohl Probleme mit dem Sound und der Technik, aber auch das erklärt nicht, warum ein Auftritt so dermaßen lieblos gestaltet werden sollte.

Mit Spannung wurde der erste Auftritt des ehemaligen Satanisten und Radio Werewolf-Kopfes Nikolas Schreck erwartet. In gewohnt guter Selbstvermarkung wurde der Auftritt als Ritual beworben, das das Weibliche evozieren würde, indem man Songs, die vornehmlich von Frauen geschrieben und gesungen wurden, neu und in der Tradition des Minnegesanges interpretieren werde. Unterstützt wurde Schreck von Allrounder John Murphy, welcher ein paar Elektronik-Zirper aus einem Laptop abspielte und ansonsten relativ minimalistisch vor sich hintrommelte. Nikolas Schreck erschien in einem fernöstlich aussehenden roten Hemd oder Kaftan und schmetterte laut, inbrünstig und vor allem sehr sehr lange alte Hadern wie "Johnny remember me" ins Mikrophon. Was bei anderen Leuten ein kleiner Gig wäre, wurde hier also als Ritual des nunmehr geläuterten Tantra-Buddhisten betitelt - möge man das sehen, wie man will, beeindruckt hat es nicht, auch wenn so manch Anhänger nachher zitternd beim Merchstand seine alten Radio Werewolf-Platten signieren ließ.

So richtig abgehoben hat der zweite Abend dann mit dem Auftritt der Schweden von IRM. Wer sie jemals live gesehen hat, der weiss, dass es kaum eine Band gibt, die IRM live das Wasser reichen kann. Auch diesmal boten Martin Bladh und seine Mannen einen sensationellen Auftritt mit der ihnen ganz eigenen Mischung aus aggressiven Vocals, lärmigen Passagen, und dann auch wieder ruhigeren Momenten, die jeweils in einem Vocal-Solo von Bladh enden und ein enthusiastisches Publikum zurücklassen. Danach gab es die Rückkehr der österreichischen Formation Institution D.O.L. auf die Bühne. Sieben Jahre nach dem letzten Auftritt präsentierte Barbie Blutig alias M. ein Best of Set, in dem auch eine neue Nummer Platz fand, die vom neuen Bandmitglied, einer jungen Dame aus Prag (Magda Kisela, Hradby Samoty-Mitveranstalterin, Anm. d. Red.), allein vorgetragen wurde. Nicht nur, dass die beiden einem gehörig etwas um die Ohren geblasen haben, sondern auch, dass sie einer sympathischen Performance Platz gaben, ließ den Auftritt zu einem der Highlights des Festivals werden. So reichte Barbie Blutig den Damen im Publikum rote Rosen, den Herren ein Gläschen Sekt, und erzeugte bei "A Viennese Place" fast so etwas wie Tanzstimmung.

Der krönende Abschluss des ganzen fand dann schon reichlich spät, so gegen 2 Uhr früh statt. Eines der ultrararen Konzerte des Anti-Art-Projektes The New Blockaders zeigte einem, dass Industrial auch einfallsreich sein kann und, bei aller Seriosität, auch Spass machen kann. 2 maskierte Herren in Anzügen erzeugten eine ganze Menge Krach, indem sie Sägen, Räder, und andere Metalltrümmer in einen Betonmischer warfen oder eine Säge mit Kontaktmikrophon versahen und dabei versuchten, eine Eisenplatte auseinanderzuschneiden. Zwei Blechspielzeugautos wurden, ebenso mit Mikro versehen, hin- und hergeschoben, was ein quietschendes Geräusch erzeugte, Plastikrohre an einer Metalltonne zertrümmert, eine Säge am Betonmischer abgeschliffen. Ein absolut würdiges Finale, obwohl danach noch eine weitere Band auftrat... es zeigte sich jedoch wieder einmal, dass 8 Bands an einem Abend zu viel sind, denn ein Großteil des Publikums war zu dieser Zeit schon zu müde, um noch länger zu bleiben. Und zu toppen wäre der Auftritt der New Blockaders sowieso nicht gewesen.